Haben oder Sein: To be or not to be...

         Rollenspiel   Systemkrise

             Oder: Ich will verstehen, was jetzt in der Welt los ist

  (Nachtrag Okt. 2013: Ein Interview mit  Saskia Sassen, Columbia University, zur gegenwärtigen Situation  hier

              Nachtrag Febr. 2016: Der neue US-Film "The Big Short" veranschaulicht das  Dargestellte.)

             (© Rainer Kluckhuhn, März 2009. Nicht-kommerzieller Gebrauch und Verbreitung mit Quellenangabe erwünscht.)

 

Vergnüglich zu lesen im Familien- oder Freundeskreis mit verteilten Rollen (Langsam lesen! Bis zu  5 Personen pro Szene plus Erzähler). Requisiten, Gesten, Mimik nach Belieben.

Personen: Hauskäufer Mary und Joe, Hypothekenfachberaterin Fanny, Bankvorstände einer US-Bank (A,B,C), Unternehmer Gilde, deutscher Bankvorstand Ackst, 5 Politiker verschiedener Parteien (A,B,C,D,E),        3 Bengel (C,D,E), evtl. Erzähler (liest die Kursiv-Texte)

1. Szene: Irgendwo im mittleren Westen der USA im Jahre 2007

Mary (säuselnd) Darling, ich habe vom eigenen Haus geträumt- so eins wie von Betsy in Castlelady.

Joe (gönnerhaft) Honey, wir leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten- also kaufen wir eins!

Mary    Dann müssen wir aber lange sparen und uns sehr einschränken.

Joe       Gott hilft uns und die Bank. Morgen gehen wir hin.

 2. Szene: In der Bank

Fanny   Sie brauchen nicht lange sparen. Es gibt günstige Darlehen zu einem ganz niedrigen Zins.

Mary    Wir könnten auf den nächsten Autokauf verzichten.

Fanny   Das brauchen sie nicht. Wenn sie beide arbeiten, sollen sie auch genießen. Sie wollen doch jetzt leben und nicht in ferner Zukunft. (Sie reicht Pralinen).

Joe (erstaunt)           Wie geht das denn?

Fanny   Der Hauskauf trägt sich selbst. Sie kaufen jetzt ein Haus, sagen wir für 100.000 $. In einem Jahr zahlen sie einen Teil des geliehenen Geldes zurück plus Zinsen, das sind in ihrem Beispiel dann 5000 + 2000 = 7000. Da aber die Haus- und Grundstückspreise stetig steigen- im Schnitt 10% pro Jahr- ist ihr Haus dann schon 110.000 wert.

Mary (schmatzend) Dann sind ja noch 3000 für den Urlaub übrig?!

Fanny   Bei weiterer vollständiger Beleihung ja. Der Wert des Hauses steigt wahrscheinlich stärker. Im vergangenen Jahr waren es 12%. Dann könnten Sie einen weiteren Kredit auf das Haus aufnehmen, zum Beispiel um ein neues Auto zu kaufen. Sie sehen: Fast unbegrenzte Möglichkeiten.

Joe       Wo sollen wir unterschreiben?

 3. Szene: Vorstandssitzung einer US-Bank

A (als Vorsitzender mit gespielter Souveränität) Ich eröffne die Sitzung mit einem neuen Rekord: Wir haben die Höhe der Hypothekendarlehen fast verdoppelt. Unsere Mitarbeiterin Miss Fanny ist Sieger im Vertragsverkauf. Dazu können wir ihr gratulieren und auch zur üppigen Provision. Da kann man ja fast neidisch werden! Naja, die Bank hat auch gut verdient; Bearbeitungsgebühr und Zinsspread bringen ein dickes Plus.

B (mit bedenklichem Gesicht) Dank Greenspan! Das funktioniert, solange die FED, unsere Zentralbank, uns weiter mit billigem Geld versorgt. Wir verdienen an dem Zinsunterschied, haben aber auch das Risiko. Es gibt viele suboptimale Kunden im Hypothekenbereich. Wenn die nicht zurückzahlen, sieht es schlecht für uns aus. In den USA gibt es kein Zugriffsrecht auf  die Lohnkonten säumiger Zahler, wie in Deutschland, wo die Banken per Gerichtsbeschluss Geld eintreiben können. Deshalb sollten wir uns weitere Quellen erschließen. Wir verkaufen einen Teil der Verträge mit Aufschlag weiter, z.B. an Sparkassen. Dann geben wir zwar die Zinsen weiter, aber auch das Risiko, falls der Hauskäufer nicht zurückzahlt.

C         Sparkassen sammeln viel Spargelder, die können gut für Hypotheken eingesetzt werden. Von dem neuen Kuchen wollen sie sicherlich auch ein Stück ergattern. Und sie können ihrerseits die Loans an solvente  Kunden weitergeben. Besonders Pensionsfonds, Stiftungen und ethische Institutionen werden da ihr Geld anlegen, weil die Sicherheit durch das reale Haus im Hintergrund steht.

B          Die Investmentbanken werden zugreifen und das Produkt potenziert weiterreichen. Wir könnten solche Derivate auch selbst anbieten. Wegen der Finanzaufsicht müsste das aber über ausgegliederte Zweckgesellschaften geschehen. Und die gebündelten Produkte sollten einen anderen Namen haben. Dann könnte es auch CDS-Zertifikate geben, Credit Default Swaps, die auf Ausfallrisiken und Umschuldung spezialisiert sind. Ähnlich wie bei Optionsscheinen geben wir Papiere mit hohem Hebel aus, bei denen der Inhaber keine Ansprüche gegen uns als Herausgeber haben kann, weil dahinter andere Wertpapiere stehen. Die USA sind bisher immer Vorreiter gewesen, besonders auf geldpolitischem Neuland. Die Finanzwelt wird uns auch diesmal folgen.

C         Der Dollar ist immer noch sehr begehrt in der Welt. Besonders aus China und Deutschland gibt es reichlich Kapitalimport. Wir kaufen ihre Waren und sie legen die Dollars wieder in unseren Wertpapieren an. So können wir viel konsumieren und den american way of life weiter mit Hilfe des Auslands finanzieren. Diese neuen Papiere werden dem Geldzufluss wieder neuen Schwung geben. Unser Petrodollar war durch Saddam und andere sehr gefährdet. Der wollte doch sein Öl international in Eurowährung verkaufen! Jetzt nicht mehr! (Er nimmt einen Schluck des bereit gestellten Mineralwassers) Noch eins: Um das Kundenvertrauen zu halten, ist es wichtig, dass die Ratingagenturen unsere Papiere gut bewerten. Dieser Etat müsste also aufgestockt werden.

A (begeistert) Wunderbare Geschäftsideen! Wir starten einen globalen Handel mit Kreditpapieren. Aus einem einfachen Hypothekenvertrag für den Kauf eines Hauses können wir so zehn Produkte mit hoher Rendite machen. Ich weiß schon, warum ich in einer Bank arbeite und nicht in einem Industrieunternehmen: Die Realwirtschaft macht das Geldverdienen viel zu mühselig. - (Beugt sich vor, leiser) In unseren Kreisen hat sich viel Spielgeld angesammelt, dank George. Da giert man nach Anlagen in Derivaten. Eine Aussicht auf 30% Rendite bringt Spannung ins Leben, und das ganz einfach online- das ist der Kick beim Klick (lacht). So kann jeder erfahren, wie Geld für ihn arbeitet. Alan hat es vorgemacht, also machen wir es nach: Let’s make money! (Er scheint nachzudenken)  Aber eins ist wichtig - wie beim System der Kettenbriefe: Sofort aussteigen, wenn die Papiere im letzten Winkel unten angekommen sind. (Er lehnt sich zurück) Ist das nicht ein herrliches Land! Soviel ungeahnte Möglichkeiten.

 4. Szene: Einige Zeit später. Mary und Joe in ihrem Haus. Ein Brief  von der Bank.

Mary (liest den Brief, erschreckt) Wer hätte das geahnt. Hier lies mal: Wir sollen jetzt doch schon für die Kredite zahlen, weil der Wert des Hauses gefallen ist. Aber wovon? Wir haben doch alles ausgegeben?

Joe       Das war nicht abgemacht! Die kriegen nichts von uns! Das Auto haben wir auch noch nicht abbezahlt.

Mary    Aber wenn die uns zwingen? Wenn die Zwangsversteigerung droht...?

Joe       Langsam, langsam. Wir leben hier in den Vereinigten Staaten.  Keine Angst, Mary. Ich hab gelesen, dass dies nur eine kleine Konjunkturdelle ist. Bald wird alles wieder besser.

5. Szene: In Deutschland. Ein Unternehmer bei seiner Hausbank.

Gilde    Wie sie wissen, haben wir einen Großauftrag bekommen. Um ihn erfüllen zu können, brauchen wir neue Maschinen- sehr teuer. Dazu hätten wir gern einen neuen Kredit.

Ackst   Lieber Herr Gilde. Die Lage hat sich geändert. Wir können ihre Kreditlinie nicht erweitern, weil es Ausfälle in anderen Bereichen gibt.

Gilde    Aber von uns haben sie doch immer pünktlich die Kredite zurückbekommen? Müssen wir jetzt darunter leiden, dass andere nicht zahlen können oder wollen?

Ackst   Die Sache ist komplizierter: Laut Gesetz, genannt Basel II, dürfen wir unser Geschäftsvolumen nur bis zu einer bestimmten Höhe des Eigenkapitals ausweiten. Die Grenze ist erreicht, wir haben starke Ausfälle bei den Eigengeschäften mit Hypothekenderivaten. Milliarden sind abzuschreiben, dadurch kommt es zur Unterdeckung unseres Eigenkapitals und wir müssen reagieren. Sie können froh sein, dass wir unsere alten Forderungen bei Ihnen nicht jetzt schon zurückholen wollen.

Gilde    Eine Bank hat doch so viele Möglichkeiten an frisches Geld zu kommen. Sie können sich zum Beispiel was bei anderen Banken leihen- viel billiger als wir es bekommen würden.

Ackst   Das funktioniert nicht mehr seit der Pleite von Lehman-Brothers: Was andere Banken denen geliehen haben ist jetzt weg, auf nimmer Wiedersehen. Gegenseitiges Misstrauen ist in einer Krise besonders groß, weil niemand in diesem Konkurrenzsystem mit offenen  Karten spielen kann. Das würden die anderen sofort gegen ihn ausnutzen.

Gilde    Aber es gibt ja für sie noch andere Möglichkeiten, die wir als Familienunternehmen nicht haben. Als Aktiengesellschaft können sie doch von ihren Aktionären Geld einziehen durch Ausgabe neuer Aktien.

Ackst   Haben sie den Kurs unserer Aktie verfolgt? Vor kurzem war der noch über 30, jetzt sind es um die 3. Für neue Aktien würden wir also kaum etwas bekommen. Tut mir leid, wir können ihnen kein neues Geld zur Verfügung stellen.         

Gilde    Wissen sie,  was das für Folgen hat? Wenn der Großauftrag platzt, müssen wir Leute entlassen. Die liegen dann dem Staat auf der Tasche. Und aus dem Schulneubau der Stadt wird auch nichts, weil unsere Steuergelder fehlen.

Ackst   Trösten sie sich. Sie sind nicht der einzige Betroffene. Nicht nur in diesem Land schlägt die Krise hart zu.  Das System hat seine Grenzen überschritten. Es kann sich nicht mehr selbst korrigieren. Hilfe kann jetzt wohl nur noch von außen kommen. (leiser) Unter vier Augen: Auch im Crash können sie persönlich Geld verdienen: Kennen sie Leerverkäufe und Puts? Hier ist die Nummer unseres Anlageberaters.

Gilde    Ich glaube sie schätzen mich falsch ein. Auf Wiedersehen! 

6. Szene: 5 Politiker aus allen Parteien beim Stammtisch, nur Männer, sehr vertraut (A,B,C,D,E).

A         Genosse, saufen wir heut auf eure Kosten?

B          Ja, wir sind dran. Aber ist doch letztlich egal. Kommt ja alles aus der großen Kasse.

C         Du meinst Presse! Papier haben wir noch reichlich. Unser Wald ist groß.

D         Sag mir nix gegen den deutschen Wald. Der soll so bleiben. Da hab’ ich das erste Mal...

Eine hübsche Kellnerin  kommt mit Getränken.

E          Jetzt mal ernster: Die vielen Milliarden, mit denen wir das System am Laufen halten wollen, erregen allgemeinen Argwohn. Wie konnte so ein Desaster passieren? Und das im Zeitalter der totalen Information! Ist die Gier der Banker schuld?

A         Gier-Gier-Gier- im Mittelalter war das eine der sieben Todsünden! Aber wir leben in der aufgeklärten Moderne. Die Neu-Gier hat uns so weit gebracht! Wünsche zu haben ist doch was Schönes. Und wer viel arbeitet, kann sie sich auch erfüllen.

E          Gier ist eine schlimme Sucht! Fast alle Kulturen haben diese Schwachstelle des homo sapiens erkannt und Stopriten eingebaut. Im Buddhismus ist die Gier eines der drei Geistesgifte. Bei den Indianern spendierten die Reicheren die gemeinsamen Feste. Im Judentum gibt es das Erlassjahr für die Schulden untereinander. Das Zinsverbot in Bibel und Koran wird im Islam bis heute beachtet. Und Luther sah im Kreditwesen ein Anzeichen dafür, dass die Welt an den Teufel verkauft ist.

C         Im christlichen Europa ist die Gier dann aber zum Treibstoff für den neu entstehenden Kapitalismus geworden. Den Anfang machte Jakob Fugger, mit einer Rendite von 60%! Mit seinem Geld finanzierten Hochadel und katholische Kirche ihre Wahlen und Kriege. Für mich ist klar: Dieses Wirtschaftssystem bedient die Gier besser als jedes andere und profitiert so optimal davon. Wir werden doch alle auf Habenwollen und Reicherwerden getrimmt.

E          Was ist denn das für ein Reichtum? Ist es wirklich Geld, wonach die Menschen gieren? -  Stell dir vor, du bist allein auf einer einsamen Südseeinsel und hast einen Wunsch frei. Du kannst wählen: Entweder eine Milliarde Dollar oder ein lieber Mensch oder eine Tonne Weinbrandbohnen.

D         Ich brauch’ Sonnenmilch Faktor 50! Nee, ich würd’ natürlich ’ne Frau mitnehmen, oder zwei oder drei und ’n paar gute Freunde.

B          Aber die könnten dir deine Frauen wegschnappen. Und womit würdest du sie an der Stange halten? Da wäre es gut, wenn du die Milliarde hättest oder ein paar Diamanten! Da haben wir es: Auch Gier ist geil!

D         Du meinst, der Grund für das ganze Desaster ist letztlich das archaische Schwanzwesen Mann? Da steckt der alte Krieger und Jäger hinter, aber heute mehr als Einzelkämpfer, und die Beutetrophäen sind Erfolg, Rendite und letztlich die...

Die schöne Kellnerin reicht weitere Getränke.

E          Der Mann ist nur Mann, weil es die Frau gibt. Leider sind Frauen in den Vorstandsetagen des Finanzkapitalismus überhaupt nicht vertreten. Vielleicht wäre alles nicht passiert, wenn wir dort die Frauenquote gehabt hätten.

C         Alles wäre in Deutschland nicht passiert, wenn durch Schröfisch nicht vor Jahren das Investment-Modernisierungsgesetz eingeführt worden wäre. Da wurde der Tanz ums goldene Kalp-ital mitgemacht, aus der Überzeugung, dass sonst die globalen Investitionen an Deutschland vorbeigingen. Seit der Zeit konnten diese Giftpapiere erst hier eindringen und die Gier der Banker füttern!

A         Ach, die Gier der Banker. Das sind jetzt die Prügelknaben der Nation! Die arbeiten mit fremdem Geld- genau wie wir, nur kreativer. Du kennst Adam Smith. Der Moralphilosoph sagte 1776: Die unsichtbare Hand des Marktes wird Wohlstand für alle bescheren. Tatsache ist, dass der Kapitalismus sich seither immer wieder durchgesetzt hat. Warum? Weil er sehr flexibel ist und nicht durch eine bestimmte Ideologie gefesselt. Er lernt aus jeder Krise neu. Jetzt steht wieder eine Wandlung an. Auch Ackermann meint, dass dies System Fortschritt und Wohlstand beschert hat wie kein anderes. Aber es muss reformiert werden.

C         Ja  der Ackermann mit seinen 12 Millionen Jahresgehalt. Wenn der ein Mann des Ackers wäre, hätte er nicht die Elitenkrankheit bekommen!

B          Was ist denn das?

C         Höhenkoller -  der entsteht, wenn Geltungssucht und  Größenwahn mit Realitätsverlust gemischt werden. Dann kennt man die Welt unten gar nicht mehr.

E          Diesen Spruch hätte der Ackermann auch nicht gesagt, wenn er in Mto wa mbu lebte.

D         He?

E          Das heißt „Dorf am Moskitofluss“, liegt in Tansania. Vor 30 Jahren war ich mal dort, mit dem Rucksack durch Afrika. Ah- da kommt meine Kaviarschnitte.

Die Kellnerin bringt neue Getränke und Speisen.

C         Der Kapitalismus ist und bleibt gefährlich. Dieses System braucht Krise und Krieg, um seine größten Verwerfungen einzuebnen, dann kann es wieder neu beginnen, siehe Stunde null. (An D gerichtet) Das habt sogar ihr damals im Ahlener Programm erkannt. Nur durch kalte und heiße Kriege kann der militärisch-industrielle Komplex sein Wachstum erhalten!

D         Und seine Arbeitsplätze! Und die NATO ist unser Garant für Freiheit und Frieden in Europa!

C         In Jugoslawien ist sie zum Nah-Tod geworden! Und seither in vielen Teilen der Welt. Unsere Bundeswehr unterstützt in der NATO die amerikanischen Vampirgelüste, und die deutsche Politik nickt gezwungenermaßen wegen der Bündnisfalle.

A         Jetzt sind wir aber weit vom Thema abgekommen.

C         Das hängt alles zusammen: Bisher hat Deutschland als Juniorpartner der USA bei deren Raubzügen manchmal noch die Krümel abbekommen. Jetzt aber sind wir es, die dafür zahlen.

E          Die ganze Welt bezahlt den Reichtum der USA. The american way of life is the earth way to death! Petrodollar, Rohstoffputsche, Kriege, Subprime-Krise usw. Nach Bretton Woods macht die USA die Welt zum Lieferanten, ohne dafür mit echter Gegenleistung zu bezahlen: Immer neues Papier wird bedruckt, in Dollar- oder Derivatform. Letzter Coup sind die wertlos gewordenen Zertifikate von Lehman Brothers.

B          Die Banker sind auch in Europa und anderen Teilen der Welt nicht arm geworden. Und wie ist es bei den öffentlichen Banken? Da sitzen wir Politiker in den Aufsichtsräten und haben dem zugestimmt. Es gibt viel Ähnlichkeiten mit uns. Sie arbeiten mit fremden Geld, wie wir. Sie haften nicht für Fehlentscheidungen. Und sie legen ihre Zuwendungen selbst fest- auch wie wir. Aber wir brauchen alle paar Jahre die Zustimmung der Wähler. Deswegen müssen wir in diesem Jahr der Wahlen besonders auf die Politikverdrossenheit achten.

A         Wenn daraus eine Demokratiemüdigkeit wird, bekommen wir viel Ärger. Immer mehr Deutsche meinen, dass ihnen die Demokratie keine Verbesserungen bringt. Das hatten wir schon mal! Auch deswegen müssen wir Politiker jetzt so massiv als Retter auftreten.

B          Die Frustwähler wandern von einer Partei zur anderen, bis sie sehen, dass die es auch nicht besser können. Dann gibt es Parteineugründungen, die ziehen wieder Hoffnungen auf sich. Wenn die dann Regierungsverantwortung haben, sieht der Wähler: Alles wie gehabt!  Schließlich geht er nicht mehr zur Wahl. Die einzige Partei, die beständig zunimmt, ist die Partei der Nichtwähler. Die hätte schon lange die Mehrheit im Bundestag. Stell dir vor, demnächst ist Wahl und keiner geht hin!

 D         Mal ehrlich! Wir machen es doch wie im alten Rom: Brot und Spiele. Modern gesagt: Konsum und TV.

C         Du meinst unterhalten zum Unten-halten!?

D         Quatsch! Zum Vergnügen! Dazu ein paar Wahlversprechen mit guten Slogans wie: „Jedem sein Häuschen!“ Ach nee, hat Bush schon gesagt, passt jetzt auch nicht mehr.  Aber wie wär’s mit „Jedem ein neues Auto“! Das müsste in Deutschland besonders gut ankommen und sichert viele Arbeitsplätze. Wir geben einen Gutschein für’s neue Auto oder eine Abschiedsprämie für das alte. Solche Konsumanreize und die Medien mit ihrer Werbung werden’s schon richten.

E          Aber ist das nicht pervers? Von allen Seiten werden die Leute zu Konsumjunkies mit öffentlichem Ansehen gemacht, aber sie haben immer weniger Geld dafür. Wir pushen noch den Verbrauch in unseren Überflussgesellschaften, obwohl wir wissen, dass die Erde das nicht mehr aushält. Die Natur geht vor die Hunde! Und unsere Kinder und Enkel müssen alles auslöffeln!

D         Ach unsere armen Wohlstandskinder! Die löffeln jetzt schon zu viel: Dick, verfressen, träge und krank. Wusstest Du, dass im letzten Kriege die Volksgesundheit viel höher war als heute!

A         Aber es ist doch richtig: Wir müssen aufpassen, dass die Unzufriedenheit nicht zu groß wird. Wir sitzen alle in einem Boot. Die Parteiendemokratie darf nicht in Gefahr geraten. Wir wollen doch alle wieder gewählt werden.

B          Jetzt wird aber immer klarer,  dass der Kuchen ungerecht verteilt ist. Und der Unterschied zwischen arm und reich vergrößert sich rapide. Bisher haben sich unsere Leutchen mit Krümeln zufrieden gegeben, weil sie sahen, dass es in anderen Ländern gar nichts gab, siehe Afrika.

D         Und darum ist Lampedusa überfüllt mit Afrikanern. Was is’ mit der Festung Europa? Oder müssen wir die Krümel weiter reduzieren, damit der Einwanderungsdruck aufhört?

E          Besser die Exportsubventionen einstellen. Wenn der afrikanische Kleinbauer seine Produkte wegen der billigen europäischen dort nicht mehr verkaufen kann, kommt er eben selbst nach Europa.

C         Subventionsabbau werden die französischen und deutschen Bauern nicht zulassen. Hast Du schon mal einen Misthaufen vor deinem Wahlkreisbüro gehabt?

B          Siehste, das ganze System ist marode! Haben wir doch schon früher gesagt. Aber was ist die Alternative...?                    

So geht es noch einige Zeit weiter. Zwischendurch werden laufend volle Gläser gebracht. Schließlich prosten sie sich zu, reden  und grölen durcheinander.

A         Trink, trink Brüderle trink...

B          Brüder zur Sonne, zur Freiheit...

C         Völker hört die Signale...

D         Freut Euch des Lebens...

E          Dann ist wieder alles klar auf der Andrea Doria...

7. Szene Mary und Joe auf der Straße mit einer leeren Flasche (sehr langsam sprechend, apatisch).

Mary             Wo schlafen wir heut Nacht

Joe                Yes we can

Mary             Es wird kalt

Joe                The change comes

Mary             Die Flasche ist leer

Joe                Morgen geh ich zu Leihman Brothers

Mary             Ich hab Hunger

Joe                Und den Job krieg ich

Mary             Gib mir den Schlafsack

Joe                Dann kaufen wir unser Haus zurück

Mary             Wovon

Joe                Es kostet jetzt nur noch halb so viel

Mary             Alles möglich

Beide singen  (nach der Melodie aus der Westside-Story (Gitarre: A,D,A,E,C,G,F,A), erst langsam, dann schneller und kräftiger werdend)

                     Glad-dy to be in America, evrything free in America,

                     Obama rules in America, we have new hopes with America!

Alle Sprecher stimmen bei der Wiederholung mit ein.

 8. Szene: Im Himmel, 3 Bengel unterhalten sich (C,D,E).

D         Schaut mal runter! Die Erde hat Fieber und jetzt kriegt sie auch noch die Krise.

C         Das liegt an den Erdlingen, die meinen, König der Schöpfung zu sein. Sie sprechen von Finanzkrise und sehen nicht, dass es eine Krise ihrer Lebensart ist. Aus Zivilisation ist Zuvielisation geworden. Entgrenztes Wachstum führt zum Krebstod.

E          Sie sind nicht zufrieden mit dem Lebenswerk des Chefs und wollen immer mehr. Er hat es doch vorgemacht und aufschreiben lassen: Nach sechs Tagen war seine Arbeit vollendet. Und er sah, dass es gut war. Es lief wie von selbst weiter. (Alle singen "After seven days" von den Crash Test Dummies)

C         Wie in früheren Krisenzeiten suchen sie einen neuen Messias, der alles wieder hinbiegen soll. Meint ihr, sie lernen es nie?

D         Doch, sie lernen dazu. Die Kriegsbegeisterung hat schon merklich nachgelassen, abgesehen von einigen nationalen und religiösen Rückfällen.

E          Da wirken noch die alten Geschichten: Der Glaube, dass der Chef sich den Huldigern und Schmeichlern besonders zuwendet und seine Religionskrieger mit Erfolg und Sieg belohnt.

C         Und die andere alte Geschichte von der Wissenschaft des Darwinismus: Struggle for life, das Leben ist Kampf.

D         Ich habe mit Charles gesprochen. Er fühlt sich gründlich missverstanden: Es wäre genau wie mit der Bibel. Die Menschen hätten sich immer nur das herausgepickt, was ihnen gerade in ihren Kram passte.

E          So sind sie auch auf das scheinbare Naturgesetz der Konkurrenzkriege gekommen: „Der Stärkste besiegt alle“ Dabei hat der Chef es doch ganz anders konzipiert. Über allem steht eine Co-Evolution  und nicht die K.o.-Evolution.

C         Stell dir vor, die Katzen würden alle Mäuse auffressen- dann müssten sie ja verhungern.

D         Die Schöpfung ist ein großes Netzwerk: Alles hängt voneinander ab, ist miteinander verbunden. Die Natur verbreitet Partnerschaft und Symbiose. Die Menschen haben verlernt, dies richtig zu sehen. Sie erfreuen sich am Geschwindigkeitsrausch, immer mehr immer schneller, z.B.  auf der Autobahn statt das Wunder des irdischen Lebens zu ergründen.

E          Aus der Sehnsucht nach dem Einssein ist die Sucht geworden. Der Mensch sucht das verlorene Paradies und merkt gar nicht, dass er sich dadurch gerade selbst daraus vertreibt. Einsamkeit und Angst haben sich verbreitet.

D         Wenn sie sich doch an die Zeit vor der großen Angst erinnern könnten, die Zeit vor der Trennung, als sie noch im Geist der Gemeinschaft lebten. Da war alles heilig- heil- ganz- whole- holy. Wir werden ihnen helfen.

Sie bilden einen kleinen Kreis, umschwingen sich mit ihren Flügeln und fangen an, gemeinsam zu singen.

CDE    Abwun d’bwaschmaja... 

Erläuterungen:

Zinsspread- die Differenz zwischen dem Zinssatz, für den sich eine Bank Geld leiht, z.B. von der Zentralbank, und dem Zinssatz, den der Kreditnehmer der Bank bezahlt.

Suboptimal (Kunden) - hier: wenig zahlungsfähig; engl. Subprime (Crisis)

Zentralbank- relativ unabhängige, teilweise private Institution zur Steuerung des Geldumlaufs. Mit der Höhe des Leitzinses (Preis für das an Geschäftsbanken verliehene Geld) werden Inflation und Konjunktur beeinflusst. Die Fugger hatten im 16. Jht. teilweise die Funktion einer ersten europäischen Zentralbank.

Alan Greenspan war von 1987 bis 2006 Chef der FED, der US-Zentralbank. Er versorgte durch einen niedrigen Leitzins die Banken mit „billigem“ Geld, eine Voraussetzung für ausgeweitete Kreditvergabe und daraus folgende Hochkonjunktur (Blasenbildung).

Loans- Ausleihungen, Kredite

Ratingagentur- beurteilt Banken und Wertpapiere nach Sicherheit und Pleitewahrscheinlichkeit.

Rendite- Prozentsatz zu dem sich das eingesetzte Geld pro Jahr vermehrt

Leerverkauf- Vertrag, mit dem ein Wertpapier, das man gar nicht besitzt,  zu einem späteren Zeitpunkt für einen bestimmten Kurs verkauft wird. Direkt vor dem Verkauf wird es selbst gekauft, in der Hoffnung, dass sich der Kurs in der Zwischenzeit günstig für den Verkäufer verändert hat. Merkle hatte mit solchen Leerverkäufen auf fallende VW-Kurse spekuliert und  viel Geld verloren, weil er die Aktien bei stark steigenden Kursen kaufen musste.

Puts- Optionsscheine mit denen auf fallende Kurse gewettet wird.

Optionsschein ist ein Derivat ("Abkömmling"von Bodenschätzen Produkten..., Wettscheine auf unsere Lebensstoffe), also ein Papier ohne direkten realen Wertbezug, nur eine Option z.B. auf den Kauf oder Verkauf von Aktien zu einem bestimmten Preis bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (Laufzeit).

Hebel zeigt die Potenzierung an, z.B. ein Papier mit 6-fachem Hebel versechsfacht den normalen Kursgewinn einer Aktie

Schröfisch- Nickname der Regierung Schröder-Fischer (1998 bis 2005)

Ahlener Programmm- Parteiprogramm der CDU von 1947, in dem Faschismus und Krieg als Folge des Kapitalismus dargestellt und die Sozialisierung vieler Industriezweige gefordert wurde.

Petrodollar- die amerikanisch-britische Ölindustrie vereinbarte mit wichtigen Ölförderländern, besonders ab 1972 mit Saudi-Arabien, das Öl international nur in Dollarwährung zu handeln, wodurch die anderen Staaten gezwungen wurden, Dollars zu kaufen, um an Öl zu kommen.

Bretton Woods- In dem dortigen Abkommen verpflichteten sich die USA, jeden Dollar gegen Gold einzutauschen (35$ pro Unze, galt von ca.1948 bis ca.1971). Durch diesen realen Wert im Hintergrund war es nicht möglich, die Dollarpresse beliebig rotieren zu lassen.

Investment-Modernisierungsgesetz- 2004 von der damaligen rot-grünen Regierung eingeführt, um entsprechend der neoliberalen Ideologie auch in Deutschland eine Wachstumsdynamik durch Entfesselung des nationalen Marktes zu ermöglichen. Seither sind Hedgefonds, Leerverkäufe und Derivate hier auch zugelassen, aber im Weltmaßstab immer noch restriktiv.

Lampedusa- kleine italienische Insel im Mittelmeer zwischen Sizilien und Afrika

 Charles Darwin (1809-1882) -Begründer des Darwinismus, missverstanden als Sozialdarwinismus. Der in England entstehende Kapitalismus brauchte zur Rechtfertigung seiner brutalen Ausbeutung das sog. Naturgesetz des Stärkeren. Im 19. und 20.Jht. wurden damit auch soziale Auslese, Rassismus, Nationalismus und Eroberungskriege begründet. Darwin hat in „Die Abstammung des Menschen“ aber Mitgefühl, Liebe und Kultur als wichtiger für dessen Evolution betont.

Abwun d’bwaschmaja- das aramäische Vaterunser als kosmisches Jesus-Gebet