Haben oder Sein: To be or not to be...

          Sie feiern ihren Geburtstag?! 

Ist ihr Entstehungsdatum nicht viel wichtiger, der Urknall ihrer Existenz? Warum soll der Zeitpunkt ihrer Geburt so wichtig sein für ihr Leben? Die jeweilige Konstellation der Sterne zum Zeitpunkt ihrer Geburt bestimmt ihr gesamtes Leben? Waren Sie nicht schon vorher da, in der Hülle des Mutterbauches? Zumindest beim Kaiserschnitt bestimmen die Klinik-Umstände die Geburtszeit: Bis zum Feierabend muss es erledigt sein.

Ist die Zeit vor der Geburt nicht viel eindrucks-voller? In der ersten zarten Lebenszeit ist ein Organismus am empfindlichsten. So kann ein kleiner Buchenkeimling schon von einer Hundepfote abgeknickt werden. Versuchen Sie das mal bei einem 50-jährigen Baum.

Geburtstag feiern wir wohl, weil er eindeutig festzulegen und aktenfähig ist. Bei der Zeugungsminute ist das schwieriger. Hier sind die Zeuger die heimlichen Täter, aber Zeugen des Big Bang fehlen, also für die Dokumentenbürokratie unbrauchbar. Außerdem soll ja in dem Moment auch die gerichtsverwertbare Zurechnungsfähigkeit eingeschränkt sein. Und welche Eltern erzählen ihrem Kind schon gern von der Beglücktheit dieses Moments- wenn es denn ein solcher war und sie sich erinnern können. 

Also was tun? Wie wär’s damit: Feiern Sie ihre Zeugungswoche, intim mit den Lebenskräften der Natur. Eine Woche im Wald allein sein- im All-eins-sein. Auf jeden Fall erleben Sie etwas ungewohnt Ursprüngliches: sich selbst! Nicht die virtuelle Welt des Bildschirms, nicht den Gruppentaumel einer Om-Gemeinschaft, kein Leben aus 2. Hand... Eine Woche Urlaub in der Wildnis ohne Klo und TV? Das ist natürlich zu viel verlangt. Da wird die Abenteuerlust doch von der Verlustangst überlagert. 

Also schon mal im Voraus: Herzlichen Glückwunsch zum nächsten Geburtstag! 

 Mein Existenzanfang liegt im August 1945. Es ist die Zeit der Hiroshima-Bombe und der wieder entdeckten Nag Hammadi- Texte.

Ein Dialektikpunkt in der Geschichte: Als die Menschheit die Fähigkeit zur Selbstauslöschung erlangte, fand sich auch die Möglichkeit, das alte Bewusstsein vom Kampf gegen das Böse zu überwinden: Die Gegensätze werden auf einer höheren Ebene aufgelöst. Das ist die Erlösung, wie Jesus sie meinte. Im wieder gefundenen Thomas-Evangelium sagt er: „Wenn ihr die zwei zu einem macht, das innere wie das äußere, das obere wie das untere, männlich und weiblich zu einem einzigen.... dann werdet ihr in das Himmelreich eingehen.“ (Spruch 22).

In diesen verbannten, verbrannten und dann vergessenen Texten liegt auch eine Lösung für die vielen Religionskonflikte: Hier ist nicht der Gottessohn zu finden, der durch sein Opfer allein die Menschheit erlöst, wie das Christentum nach Nizäa dogmatisiert. Hier spricht der Rabbi des Judentums und der Prophet des Islam und der Feindesliebe-Jesus des Christentums in einer Person. Kannte er die hinduistisch-buddhistische Lehre der Ad-veita, der Nicht- Zweiheit? An Stelle der Dualität von Himmel oder Hölle steht hier die Einheit des Yin- und Yang-Kreises.

In meinem Leben scheint auch sich ein Umschlagpunkt der Menschheitsgeschichte widerzuspiegeln: Als Kind habe ich auf dem Stucken im Einklang mit der Natur gelebt. Heute muss ich sagen: Wenn jeder Erdbewohner so leben würde wie ich, wie der durchschnittliche Deutsche, wäre die Natur überfordert. In meinem Erdenleben ist mehr Ressourcenverbrauch geschehen als in der gesamten Menschheitsgeschichte vorher. Meine Generation hat das Schicksal der Menschenexistenz in der Hand.  In der Geschichte der Menschwerdung sind wir am Abend des 6. Tages angelangt: Jetzt ist Sabbat. Also Ruhe und Muße statt Hektik und Fortschrittsmaloche. Oder wie Peter Kafka sagt: Vielfalt und Gemächlichkeit statt Einfalt und Raserei.

Keine Hoffnung für die Menschheit? Dagegen hilft Mathematik: Wenn es Ihnen gelingt 2 Menschen pro Jahr zum großen Wandel zu überzeugen und diese im nächsten Jahr wieder 2 dazu bringen, dann sind das in 10 Jahren erst 1024. Aber nach einer Generation (33 Jahre) schon 9 Milliarden!